Zu Beginn meines Vortrags zwei Zitate:
Ich will meinen treuen Rat geben. Erstlich, dass man ihre Synagoge oder Schule mit Feuer anstecke, und was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, dass kein Mensch einen Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich. Zum andern, dass man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre. Denn sie treiben eben dasselbige darin, was sie in ihren Schulen treiben [...].
Der Jude ist seiner Veranlagung nach ein Antiproduzent, weder Landwirt noch Gewerbetreibender, nicht einmal wirklicher Kaufmann. Er ist ein Zwischengänger, immer falsch und parasitär, der sich im Geschäft wie in der Philosophie der Fälschung, betrügerischer Nachahmung und Rosstäuscherei bedient. Er kennt nur Hausse und Baisse, Transportrisiko, ungewisse Ernteaussichten, Unsicherheit von Angebot und Nachfrage. Seine Wirtschaftspolitik ist ganz negativ, ganz wucherisch; das Prinzip des Bösen, Satan, Ahriman, verkörpert in der Rasse des Sem [...].
Zur Aufmunterung nun ein Gedicht:
Und der Jud mit krummer Ferse
Krummer Nas und krummer Hos
Schlängelt sich zur hohen Börse
Tiefverderbt und seelenlos
Und noch eine kleine Geschichte:
Verzeihung, sind Sie Antisemit?, fragt Moishe einen Mann am Bahnhof. Nein, natürlich nicht. Ich habe jüdische Freunde. Entschuldigen Sie bitte die Frage, sagt Moishe, geht weiter und fragt den Nächsten: Sind Sie vielleicht Antisemit? Auch dieser verneint empört. So geht es immer weiter, bis er schließlich an einen Mann gerät, der antwortet: Und ob! Die Juden sind doch alles Halsabschneider, die sich weltweit verschwören. Wunderbar, sagt Moishe, Sie sind ein ehrlicher Mann. Würden Sie bitte einen Moment auf meinen Koffer aufpassen?
Der Begriff Antisemitismus wurde 1879 von Wilhelm Marr als politisches Schlagwort popularisiert. Im Zeitgeist des späten 19. Jahrhunderts war der Begriff durchaus positiv besetzt. Semit ist ein Begriff der Anthropologie, der sich von Noahs Sohn Sem ableitet. Es gibt keine semitische Rasse, wohl aber, wegen einer gemeinsamen Sprachwurzel, semitische Völker. Dazu gehören auch die Juden. Unter Antisemitismus versteht man den Antijudaismus seit der Zeit der jüdischen Diaspora. Antisemitismus ist keineswegs eine Erfindung der Nazis, sondern tief in der bürgerlichen Gesellschaft verankert. Die Zitate stammen von Martin Luther und dem Frühsozialisten Proudhon, das Gedicht ist aus der Frommen Helene von Wilhelm Busch. Heute ist Antisemitismus Out, er wird meist verleugnet. Moishe scheint also irgendwo recht zu haben. Doch dazu später.
Antisemitismus ist ein Begriff der Gesellschaftswissenschaften. Für die Entwicklung des Antisemitismus über die Jahrhunderte ist die Geschichtswissenschaft zuständig, für die Entwicklung des A. im Individuum und der Gesellschaft die Soziologie und die Sozialpsychologie. Ich selbst bin in den Naturwissenschaften zu Hause. Bei meinen Nachforschungen zum Thema Antisemitismus musste ich lernen, dass es in den Gesellschaftswissenschaften keine wahren Erkenntnisse gibt, sondern immer die Ideologie die Erkenntnis bestimmt. Es gibt eine Unzahl von Quellen zum Antisemitismus und noch mehr Sekundärliteratur, die nicht einmal in den Fakten überall übereinstimmen. Ich möchte hier nur das mehrbändige Werk von Poliakov erwähnen.
Ich bin als protestantischer Christ erzogen worden. Meine Eltern waren bürgerlich, aber wegen schlechter Erfahrungen mit einem jüdischen Rechtsanwalt Juden gegenüber nicht gerade freundlich eingestellt. Schon in jungen Jahren habe ich gelernt, dass ich mich vor Juden, Zigeunern und Katholiken in Acht zu nehmen habe. Juden sind immer auf ihren Vorteil aus und wollen aus der Nazizeit Profit schlagen, Finkelstein lässt grüßen. Eigene Erfahrungen mit Juden, die diese Vorurteile korrigieren könnten, gab es in meiner Frühjugend nicht. Die Nazizeit war vorbei und niemand wollte daran erinnert werden. Erst der Eichmann- und später der Auschwitz-Prozess haben die Schoah ins allgemeine Bewusstsein gebracht. Der Holocaust-Film bewirkte dann ein Übriges. So oder so ähnlich dürfte die Sozialisierung der meisten meiner Altersgenossen verlaufen sein. Juden sind etwas besonderes. Ermorden darf man sie natürlich nicht, aber Vorsicht ist angeraten. Mein persönliches Judenbild hat sich in meiner Zeit in Amerika gebessert. Im persönlichen Kontakt erscheinen die Juden auf einmal als Menschen wie Du und Ich, mit einer gehörigen und wohl auch berechtigtem Misstrauen gegenüber Deutschen. Gutes Brot gab es nur beim jüdischen Bäcker. Trotzdem gibt es noch einen irrationalen Rest von Antisemitismus in mir. Wie ich Michael Friedman zum ersten Mal im Fernsehen sah, kam mir, ohne irgendetwas über ihn zu Wissen, sofort der Gedanke, dass dies nur ein Jude sein kann. Die Vorurteile aus unserer Sozialisation sind offensichtlich nur schwer los zu werden. Sie einfach zu leugnen hat keinen Zweck. Hier wären wir wieder bei Moishe. Vielleicht kann man im Antisemitismus eine Folge der Erbsünde sehen, falls es die wirklich gibt. Wir müssen unser Denken und noch mehr unser Handeln im Umgang mit Juden fortwährend darauf prüfen, ob sie nicht von antisemitischen Vorurteilen geprägt sind.
Ich bin im Prinzip Anhänger einer offenen Gesellschaft, glaube aber, dass diese einen starken Staat und vor allem ein gemeinsames ethisches Fundament braucht. Ich möchte eine offene Gesellschaft, weil wir nur eine selektive Wahrnehmung haben, niemand über vollständige Information verfügt und niemand die Weisheit gepachtet hat. Nur Gott weiß alles. Über die Politik müssen wir uns zusammenraufen. Der heute die Politik prägende Marktfundamentalismus und der wieder aufkeimende Sozialdarwinismus unserer neoliberalen Einheitspartei sind wider die offene Gesellschaft.
Die biblische Geschichte sei hier nur kurz stichwortartig aufgeführt: Stammvater Abraham (ca 2000 v.Chr.) zieht von Ur nach Kanaan, Jakob mit seinen 12 Söhnen zieht nach Ägypten, die Versklavung in Ägypten, die biblischen Plagen, Moses Auszug aus Ägypten (um 1200), die Landnahme durch Josua, die Richter, die Könige Saul, David (um 1000) und Salomon. Die Einigung unter David, der Tempelbau unter Salomon, der Zerfall des Reiches in Israel und Juda, die Zerstörung des Nordreichs Israel durch die Assyrer und im 6. Jahrhundert vor Christus die babylonische Gefangenschaft der Bewohner Judas. Die Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft, die Propheten, Unterjochung durch die Seleukiden, die Makkabäer-Herrschaft, römisches Vasallenkönigtum unter Herodes und Nachfolgern, Aufstand gegen die Römer, Zerstörung des Tempels und Diaspora um 70 n.Chr..
Die offizielle israelische Geschichte, nachzulesen im Internet, deckt sich weitgehend mit der biblischen Geschichte. Von besonderer Bedeutung ist das Reich Davids, aus dem die Existenzberechtigung des Staates Israel abgeleitet wird. Nach der Zerstörung des Tempels durch die Römer lebten bis zum Aufstand des Bar Kochba (ca. 170 n.Chr.) weiterhin Juden in Palästina.
Die fünf Bücher Mose wurden um etwa 450 vor unserer Zeitrechnung geschrieben. Sie enthalten neben alten jüdischen Überlieferungen zahlreiche Elemente aus anderen Religionen des Nahen Osten. Die frühen Israeli lebten als Nomaden zwischen Libanon und Nil. Es gibt keinerlei archäologische Hinweise auf Moses und den Auszug aus Ägypten. Die Landnahme in Palästina ist wahrscheinlich nicht so blutig verlaufen, wie es das Buch Josua beschreibt. Jericho war zu dieser Zeit bereits zerstört. Die Reiche David und Salomon waren, wenn es sie überhaupt gab, eher unbedeutend und keine reinen Judenstaaten. Der Einfall der Assyrer ist belegt, ebenso die babylonische Gefangenschaft. Erst in dieser Zeit hat sich das Judentum als echter Monotheismus konstituiert, vorher gab es außer Jahwe durchaus noch andere Götter. Ein Teil der Juden ist nach der Befreiung durch die Perser in Babylon geblieben, um die Zeitenwende werden dort etwa 1 Million Juden vermutet. Die Juden in Palästina mussten sich das Land mit zahlreichen nichtjüdischen Völkern teilen. Manche Völker sind zum Judentum konvertiert. Jude kann im Prinzip jeder werden, der an Gott glaubt und die jüdischen Gesetze kennt und befolgt, unabhängig von seiner Herkunft. Der Glaube verbindet die Juden zu einem Volk, nicht eine imaginäre Blutsverwandtschaft.. Das Königreich Judäa zur Römerzeit war ein echter Vielvölkerstaat. Bei einer Volkszählung im Jahr 48 wurden im römischen Reich 7 Millionen Juden gezählt. Davon lebten nur 2,5 Millionen in Judäa, der Rest im übrigen Reichsgebiet. Die jüdische Diaspora ist also viel älter als es die offizielle Geschichtsschreibung wahr haben will. Zur ersten Verfolgung von Juden und Christen kam es unter den römischen Gottkaisern, die von beiden monotheistischen Religionen natürlich nicht anerkannt werden konnten. Das Christentum hat übrigens nur deshalb so schnell Verbreitung gefunden, weil es als jüdische Sekte begründet wurde und in den zahlreichen jüdischen Gemeinden im Römischen Reich einen wohl bestelltes Feld fand.
Das Alte Testament, das übrigens erst im 1. nachchristlichen Jahrhundert fertiggestellt worden ist, taugt nicht als Geschichtsbuch. Dies mindert nicht seinen Wert als Heilige Schrift. Es ist ein großartiges Nationalepos mit dem geschichtlichen Wahrheitsgehalt einer Ilias oder eines Nibelungenlieds. Aus dem Alten Testament territoriale Ansprüche auf ein Großisrael abzuleiten, wie es einige extremistische Zionisten tun, ist ein Unding. Im Übrigen scheinen die Juden in biblischer Zeit relativ friedliche Zeitgenossen gewesen zu sein. Sie wurden nur dann aufmüpfig, wenn sie an fremde Götter glauben sollten. Die grausigen Geschichten, die sich in einigen Büchern des A.T. finden, dürften von den Geschichtenerzählern erfunden worden sein, um ihre Stories besser vermarkten zu können. Gewaltdarstellungen waren eben schon immer gefragt, sie sind kein Produkt unseres Medienzeitalters.
Das jüdische Volk in der Diaspora entwickelte sich als das sephardische Judentum im Mittelmeerraum und Spanien sowie das askenasische Judentum in Mittel- und Osteuropa. In Mesopotamien entstand um etwa 500 n.Chr. der babylonische Talmud, in dem die jüdische Überlieferung kanonisiert wurde, als die Grundlage des modernen Judentums. Das sephardische Judentum hat sich mit dem aufkommenden Islam gut vertragen. Im elften Jahrhundert gab es dann zum ersten Mal Judenverfolgungen größeren Stils, die sich aber nicht fortsetzten. Im christlichen Mitteleuropa erging es den Juden schlechter. Von der christlichen Kirche als Gottesmörder beschuldigt wurden ab dem Jahr 1096 n.Chr. Juden in Deutschland Opfer des Heiligen Krieges, der Kreuzzüge. Schutzbriefe des Kaisers nützten ihnen nichts. Der Antisemitismus dieser Zeit war religiös begründet, den Juden wurde außer dem Gottesmord noch Hostienfrevel und Ritualmord an Kindern vorgeworfen. Die Juden wurden vor die Wahl gestellt, sich entweder taufen zu lassen oder zu sterben. Zahlreiche Juden haben sich für den Freitod entschieden. Ob das Stigma des Heimatlosen im Mittelalter eine Rolle spielte, darf bezweifelt werden.
Ab dem 11. Jahrhundert haben sich die Juden in den Städten in eigenen Gassen niedergelassen, wie es auch die in den Zünften organisierten Handwerker taten. Juden durften, als Folge von Konzilsbeschlüssen, keinen Ackerbau betreiben, kein Land erwerben und keinen handwerklichen Beruf ausüben. Andererseits hatte die mittelalterliche Gesellschaft einen erheblichen Geldbedarf, nicht zuletzt für Kriege. Den Juden war der Geldverleih gegen Zins an Nichtjuden vom Talmud her erlaubt und aus ihren Handelsgeschäften hatten sie auch oft überschüssiges Geld, das eine Anlagemöglichkeit suchte. Christenmenschen war der Geldverleih verboten und so bekamen die Juden quasi ein Monopol. Auch den Handel beäugte man übrigens im Mittelalter noch mit Misstrauen. Er galt im Gegensatz zum Handwerk als unproduktiv. Der Spruch Und ist der Handel noch so klein, bringt er doch mehr als Arbeit ein stammt vielleicht aus dieser Anschauung. Die Juden waren fortan bis in die Neuzeit als Wucherer und Schacherer verrufen.
Es sollte bald noch schlimmer kommen. Im 14. Jahrhundert kam die Pest. Scharfäugige Beobachter meinten festzustellen, dass die Juden von der Pest weniger betroffen waren. Daran könnte sogar etwas richtig gewesen sein. Vielleicht hatten die Juden wegen ihren strikten Reinheitsvorschriften einfach weniger Flöhe als ihre Mitbürger. Es entstand das Gerücht der Brunnenvergiftung durch die Juden. Diese wurden wieder grausam verfolgt und aus den Städten vertrieben. Aus Spanien, England und Frankreich wurden sie ganz ausgewiesen.
Bemerkenswert in der Reformationszeit ist der Antisemitismus Martin Luthers. Er war Anfangs den Juden gegenüber freundlich gesonnen. Als sich diese jedoch nicht taufen lassen wollten, war es mit Luthers Geduld schnell vorbei. In Von den Juden und ihren Lügen wurden die Juden in einer ausgesprochenen Gossensprache als Kinder des Teufels bezeichnet, regelrecht dämonisiert und alle altbekannten Vorurteile wiederholt. Im katholischen Spanien kam es zu Judenverfolgungen, die sich zum ersten Mal auch gegen konvertierte Juden richteten.
In Osteuropa begannen sich die Juden schon relativ früh im Mittelalter in Ghettos anzusiedeln, den Stedeln. Sie scheinen sich dort durchaus wohlgefühlt zu haben, zumal ihnen das etwas Sicherheit zu geben schien. Auf dem Gebiet des heutigen Deutschland gab es Ghettos nur in wenigen großen Städten und wohl auch erst mit dem Beginn der Neuzeit.
Bereits im Mittelalter bildete sich in Italien der Mythos des Ahasver, des Ewigen Juden, des von Gott verworfenen Volkes. In Deutschland wurde dieser Begriff aber erst im 19. Jahrhundert populär.
Nach den Wirren von Reformation und Gegenreformation begann der Feudalismus und damit die moderne Geldwirtschaft. Die Juden respektive ihr Geld wurden wieder gebraucht.. Für die breite Masse der Bevölkerung ging es rapide bergab. Auch die Judenschaft spaltete sich in Hof- und Betteljuden. Die Hofjuden lebten wohlhabend in sogenannter Kammerknechtschaft. Die armen Juden schlugen sich durch Betteln, Hausieren, Lumpensammeln, Viehhandel und ähnliches durch.
Mit der Aufklärung änderte sich dann auch das Bild vom Juden. Die religiösen Vorwürfe begannen zu schwinden und alles hätte sich zum Guten wenden können. Es kam anders. In Frankreich siegte die Revolution. Deren Gedanken wurden durch Napoleon verbreitet und es entstand die bürgerliche Gesellschaft. Hep-Hep hieß die Parole, es kam im 19. Jahrhundert fortwährend zu antisemitischen Übergriffen. Rechtlich wurden die Juden emanzipiert, wenn dies auch in Deutschland bis zur Reichsgründung brauchte. Im Vormärz wurden jüdische Banken gegründet und die Juden fanden Zutritt zu den Universitäten und in die akademischen Berufe.
Es begann aber auch das Konkurrenzdenken, die Nationalökonomie und der Nationalismus. Die Wissenschaften nahmen einen ungeheuren Aufschwung und bildeten die Basis für die Ende des 18. Jahrhunderts beginnende Industrialisierung. Gobineau propagierte im Versuch über die Ungleichheit der Rassen den Rassebegriff und erfand die arische Edelrasse. Aus den Lehren Gobineaus und Darwins Evolutionstheorie entwickelten sich Rassenwahn und Sozialdarwinismus. Da man sich selbst als Herrenrasse zu fühlen begann, musste ein Gegenbild her. Hierfür waren die Juden wie geschaffen. Sie wurden zur minderwertigen, ja sogar zersetzenden und schädlichen Rasse erklärt. Es war vor allem H.S. Chamberlain, der Schwiegersohn Richard Wagners, der dies in Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts ausformulierte. Die Jüdische Weltverschwörung wurde erfunden. Der Antisemitismus war gegen Ende des 19. Jahrhunderts wissenschaftlich begründet, salonfähig geworden. Antisemitismus war, wie wir heute sagen würden In. Ich erinnere an das Gedicht von Wilhelm Busch. Auch die beliebte Gartenlaube predigte Antisemitismus pur. In Deutschland wurden mehrere offen antisemitische Parteien gegründet und auch die konservativen und liberalen Parteien bekannten sich zum Antisemitismus. Antisemitismus war keineswegs auf die äußerste Rechte beschränkt. Ich habe eingangs bewusst den Frühsozialisten und Anarchisten Proudhon erwähnt. Der Antisemitismus war auch nicht spezifisch deutsch. In Frankreich kam es zur Dreyfusaffaire. In Osteuropa setzten, insbesondere in Russland und der Ukraine, offene Judenpogrome ein.
Bestärkt wurde die Lehre von der jüdischen Weltverschwörung durch die Protokolle der Weisen von Zion, einer plumpen antisemitischen Fälschung. Kant, Fourier, Nietzsche, Marx, Wagner, Treitschke, Wilhelm II., Ford : Ich muss an dieser Stelle vieles auslassen. Die Zeit läuft mir sonst davon. Der gesellschaftliche Boden für den späteren Nationalsozialismus war bereits runde 50 Jahre vor der Machtergreifung bestens bestellt.
Die bürgerliche Ideologie hat natürlich auch vor den Juden nicht halt gemacht. Die Emanzipation hatte nicht gebracht, was man sich vielleicht erhofft hatte. Im Gegenteil, das Fehlen eines eigenen Landes als Grundlage für eine eigene Nation wurde nun schmerzhaft erfahren. Es war Theodor Herzl, der daraufhin den Zionismus begründete. Irgendwo auf der Welt sollte Land erworben werden, auf dem die Juden endlich unter sich in Frieden leben können. In der darauf folgenden Diskussion wurde beschlossen Palästina, damals noch osmanisch, zu besiedeln. Der Judenstaat sollte dort eine Keimzelle des Fortschritts werden. Politisch war der Zionismus übrigens eine Sammelbewegung fast aller politischen Richtungen, auch des religiösen Fundamentalismus. Ich komme hierauf später zurück.
Erwähnt werden müssen an dieser Stelle noch die Judenverfolgungen durch die weißen Truppen während und nach der russischen Revolution sowie diejenigen der späten Stalin-Ära.
Die Schoah bildet den Höhepunkt der Entgleisungen des Antisemitismus. Ich kann sie hier nur stark verkürzt darstellen. Adolf Hitler beschreibt in Mein Kampf, wie er zum Antisemiten wurde. Primäre Ursache war wohl seine Ablehnung an der Wiener Kunstakademie. Die Juden wurden für Hitler der Inbegriff des Bösen. Die Gedanken des Rassismus fielen bei Hitler auf fruchtbaren Boden. Auch sogenannte Lebensunwerte, Homosexuelle, sogenannte Zigeuner also eigentlich typische Arier- , Bolschewisten und Slawen gerieten unter das hitlersche Verdikt. Hitler war weit mehr als nur Antisemit. Er war schlichtweg ein Menschenfeind und Verbrecher. Nach der Weltwirtschaftskrise 1929 wuchs die NSDAP zur größten politischen Kraft heran. Die Saat des Bürgertums war aufgegangen. Alle bürgerlichen Parteien stimmten 1933 dem sogenannten Reichsermächtigungsgesetz zu. Um die junge deutsche Demokratie war es geschehen. Die Verfolgung sogenannter minderwertiger Rassen begann sofort. Die Juden wurden diffamiert, es wurde zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen und mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurden die Juden aus dem öffentlichen Dienst verbannt. Mehr traute man sich 1933 noch nicht, man fühlte sich noch nicht sicher im Sattel.. Bei den Juden setzte man zunächst auf Auswanderung. 11 Millionen europäische Juden zu ermorden dafür war die Zeit noch nicht reif. Die Juden sollten also gehen, aber bitteschön ohne ihre Habe und ihr Geld. Die Sache hatte jedoch einen großen Haken. Juden ohne Geld wollte niemand aufnehmen. Man solidarisierte sich im Kulturbund, in der Reichsvertretung und anderen Organisationen So blieben die meisten Juden im Land, mit der trügerischen Hoffnung, der Hitlerspuk würde schon einmal aufhören.. Es kam anders. 1935 fühlte sich das Regime gefestigt. Die Nürnberger Gesetze wurden erlassen und die Juden weitgehend aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen. Kinos, Theater, Schwimmbäder und Urlaubsorte wurden ihnen verboten. Juden konnten zwar noch Staatsangehörige, aber keine Reichsbürger mehr sein. Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes wurden verboten. Nur in der Wirtschaft durften sich die Juden zunächst noch betätigen. Die Behauptung einer Verbindung des Judentums mit dem Bolschewismus bzw. Kommunismus wurde in die Welt gesetzt. Ab 1938 wurden die Juden auch aus dem Wirtschaftsleben verbannt, im November wurde die sogenannte Reichskristallnacht organisiert. Jüdische Geschäfte und Synagogen wurden geplündert und in Brand gesetzt, die Polizei schaute untätig zu. Weitere Berufsverbote folgten, alle jüdischen Kapitalvermögen wurden zwangsveräußert und eingezogen. 1939 begann der Krieg. Es wurde beschlossen, lebensunwertes Leben und rassenschädliche Volksteile zu vernichten. Die jüdische Vertreibung wurde forciert. Man begann die Juden in Ghettos und Konzentrationslager zu deportieren. In Polen wurde unter anderen das Ghetto Warschau errichtet. Dort wurden die Juden systematisch terrorisiert und ausgehungert. Es kam 1943 zum Aufstand, der blutig niedergeschlagen wurde. Durch den Vormarsch im Krieg fielen immer mehr Juden in deutsche Hände. Sie wurden von ihren Landsleuten oft nur zu gerne ausgeliefert, der Antisemitismus war kein deutsches Privileg. 1941 wurden dann die Pläne zur Vernichtung der europäischen Juden konkret. Der Judenstern wurde eingeführt. Beim Einmarsch in der Sowjetunion wurden von sogenannten Einsatzgruppen rund 2 Millionen Juden ganz konventionell erschossen oder mit Auspuffgasen vergiftet. 1942 kam es zur Wannseekonferenz. Die Endlösung der Judenfrage wurde beschlossen. Adolf Eichmann wurde mit der Durchführung betraut. Die Auswanderung der Juden wurde jetzt unterbunden. Theresienstadt wurde als Muster-KZ für das Ausland eingerichtet, die Vernichtungslager Auschwitz, Maidanek, Treblinka, etc. wurden gebaut. Man schätzte, dass rund 11 Millionen Juden zu vernichten seien, dies ging nur industriell geplant. Es ist übrigens auch daran gedacht worden, Russen und Polen zu vernichten. Diese Idee wurde aber aus mangelnder Praktikabilität aufgegeben. Rund 4 Millionen Juden gingen in die Gaskammern. Insgesamt hat die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie rund 6 Millionen Juden, sog. Zigeunern, Behinderten und anderen das Leben gekostet. Infolge der Schoah haben wir als Deutsche den Juden gegenüber eine besondere Verantwortung. Die Schoah war etwas Einzigartiges. Antisemitismus und Rassismus waren ihre notwendige aber nicht hinreichende Bedingung. Deshalb müssen wir sie beide bekämpfen. Allerdings waren schon die Schikanen an den Juden ab 1933 jenseits jeder Menschlichkeit, nicht erst die 6 Millionen Toten.
Die Idee eines israelischen Staates entstand im Zionismus, wie schon oben beschrieben. Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen Juden nach Palästina einzuwandern. Dies war damals noch Bestandteil des osmanischen Reiches. Schon damals kam es zu ersten Konflikten zwischen Arabern und Juden. Das osmanische Reich kämpfte im ersten Weltkrieg auf der falschen Seite. So konnte es 1917 zu der unseligen Balfour-Deklaration kommen, in der den Juden ein eigener Staat in Palästina versprochen wurde. Der Völkerbund beauftragte dann die englische Mandatsverwaltung mit der Realisierung. Der arabische Wiederstand wuchs und die Engländer beeilten sich nicht besonders. Zuerst wurde das Königreich Jordanien gegründet.. Durch die Schoah entstand dann aber ein politischer Druck. Die jungen Vereinten Nationen beschlossen die Staatsgründung. Es sollte ein jüdischer und ein palästinensischer Staat gegründet werden. Begleitet wurde dies von dem Bombenanschlag radikaler Juden auf das King-David Hotel.
Mit der Staatsgründung am 14.05.1948 begann der erste Krieg. Überraschenderweise konnte sich der junge Staat gegen die angreifenden Araber verteidigen und sogar kleine Landgewinne verbuchen. Arabisches Kriegsziel war die Vernichtung von Israel. Die auf israelischem Staatsgebiet lebenden Araber flüchteten aus dem Land. Sie wurden von den Arabern nicht integriert und wohnen seither in Flüchtlingslagern. Israel nahm die aus den arabischen Staaten fliehenden Juden auf. 1956 kam es dann zur Suez-Krise. Diesmal war Israel der Angreifer und drang weit nach Ägypten vor. Nur der internationale Druck konnte Israel zum Rückzug bewegen.
Ende der 50iger Jahre entstand die Fatah Jassir Arafats. Mit Bomben und Flugzeugentführungen machte sie auf die Probleme der Palästinenser aufmerksam. 1964 wird die PLO gegründet. Die PLO bestritt das Existenzrecht Israel und dieses fühlte sich wohl nicht zu unrecht bedroht. Im Jahr 1967 holte Israel zum großen Schlag aus. Der Sechstagekrieg begann und Israel weitete seine Grenzen aus. Ganz Jerusalem kam zu Israel. Die PLO antwortete mit Terror. 1973 griffen die Araber Israel an zwei Fronten an, der Jom-Kippur-Krieg. Verhängnisvoll war, was dann 1974 geschah. Radikale Juden begannen in den im Sechstagekrieg eroberten Gebieten zu siedeln. 1977 macht Arafat den Vorschlag einer Zwei-Staaten-Lösung. 1978 marschiert Israel im Südlibanon ein. Ebenfalls 1978 wird das Camp-David-Abkommen unterzeichnet. 1982 kommt es zum Libanon-Krieg mit den Massakern von Sabra und Shatila. 1987 beginnt die sogenannte Intifada, 1988 erkennt die PLO Israel an. Um diese Zeit werden die radikalislamische Hamas und der Islamische Djihad gegründet. 1995 wird Jitzchak Rabin von rechtsradikalen Juden ermordet. 2000 beginnt mit dem Besuch Scharons auf dem Tempelberg die zweite Intifada. Hamas und Djihad machen Selbstmordanschläge, Israels Militär schlägt wild und ohne Rücksicht auf zivile Opfer um sich, politische Gegner werden gezielt ermordet und die Menschenrechte mit Füssen getreten.
Alle Friedensbemühungen aus aller Welt blieben bis jetzt ohne irgendeinen Erfolg. Beide Parteien sind Gefangene der eigenen Extremisten. Israel scheint einen äußeren Feind zu brauchen, um von seinen inneren Problemen abzulenken. Einer linken israelischen Regierung würde der Bürgerkrieg mit den Siedlern drohen. Die rechte Regierung Scharons braucht die Siedler zum Machterhalt. Bei den Palästinensern sieht es nicht viel anders aus. Arafat würde seine Macht verlieren, wenn er ernsthaft gegen die Extremisten vorgehen würde und er lässt es daher lieber. Bushs Amerika steht aus wahltaktischen und strategischen Gründen einseitig hinter Israel. Ein Frieden ist nicht in Sicht. Dabei wäre er so wichtig. Bis der politisch begründete Antisemitismus und Antizionismus in den arabischen Ländern nachlässt, werden Generationen vergehen. Er sitzt mittlerweile tief. Mit dem Schwinden der Erdölvorräte könnte aber das strategische Interesse Amerikas am Nahen Osten nachlassen und Israel stände allein einer feindlichen arabischen Welt gegenüber. Das Experiment Israel könnte scheitern.
Der Antisemitismus ist noch nicht tot. Insbesondere in Frankreich und Deutschland kommt es fast regelmäßig zu Friedhofs- und Synagogenschändungen. Der Antisemitismus heute ist der des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Er wird vorwiegend von der äußersten politischen Rechten getragen, findet sich aber rudimentär auch in den Volksparteien einschließlich der FDP. Leitmotiv ist die angebliche jüdische Weltverschwörung, präsent durch die Kontrolle der Wallstreet. Jüdische Archive wie www.hagalil.com führen genau Buch. Auch die Linke ist nicht frei von Antisemitismus. Alles was unter sogenanntem Antizionismus läuft, muss genau auf Antisemitismus geprüft werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Palästinenser, Hamas und Djihad. Die derzeitige Politik Israels ist Wasser auf die Mühlen des Antisemitismus. Natürlich ist Scharon nicht für die Juden repräsentativ. Er repräsentiert sie aber als Staatschef und trägt mit seinen permanenten Menschenrechtsverletzungen genauso zum Antisemitismus bei wie ein Bush zum Antiamerikanismus. Natürlich ist diese Verallgemeinerung dumm. Es ist aber so. Man darf es nur nicht sagen, selbst wenn man selbst Jude ist wie etwa G.Soros und andere.
Diese drei Namen sind die prominentesten Opfer des Anti-Antisemitismus. Im Wortlaut einer Rede ein Zitat nicht als solches klar gekennzeichnet zu haben ist die Schuld des einstigen Bundestagspräsidenten. Kein normaler Mensch kann darin Antisemitismus erkennen. Aber dumm gelaufen- Jenninger muss gehen. Niemand hat sich bis heute dafür entschuldigt.
Dann der Fall Möllemann. Er hat ein offenbar unsägliches Flugblatt über Michel Friedmann verfasst. Er sagt Leute wie Friedmann förderten den Antisemitismus. Ich mag Möllemann nicht. Aber bezüglich Michel Friedmann denke ich dasselbe. Ich weiß dass das dumm ist. Friedman ist Jude, aber nicht die Juden. Aber so wie ich denken eben viele. Möllemann musste weg, weil er sich traute, als Präsident der deutsch-arabischen Gesellschaft Israel offen zu kritisieren. Kritik an Möllemann ist sicher erlaubt. Aber muss man einen Menschen gleich in den Tod treiben ?
Der Fall Hohmann ist anders. Hohmann hat ganz klar antisemitische nationalsozialistische Klischees gebraucht. An den Gräueln des Bolschewismus waren sicher auch Juden beteiligt. Aber dies den Juden als Volk anzulasten ist schlichtweg Nazipropaganda. Genauso wie der Begriff Tätervolk ein Begriff des Rechtextremismus ist. Außerdem hat Hohmann intensive Kontakte zu Rechtextremisten gepflegt. Er musste zu Recht gehen, wenn auch die Strafe etwas hart erscheinen mag. So wie Hohmann darf sich niemand äußern. Ein verantwortlicher Politiker schon gar nicht. Wehret den Anfängen.
Als Christen müssen wir uns mit dem Judentum als Glaube wie auch mit anderen Religionen auseinandersetzen. Dies muss uns erlaubt sein. Wir müssen aber dabei aufpassen, dass wir nicht antisemitischen Klischees aufsitzen.
Ähnliches gilt bezüglich des Staates Israel. Wir haben als Deutsche Israel und den Juden gegenüber eine besondere Verantwortung. Die einzige wirkliche Daseinsberechtigung von Israel folgt aus der Schoah, dem himmelschreienden von Deutschen begangenem Unrecht und dem weitgehenden Wegsehen der Welt. Leidtragende sind die Palästinenser. Aber gerade deshalb ist Israel besonders gefordert, in seiner Politik die Menschenrechte zu beachten, die viele von unseren Vorfahren als Anhänger Hitlers gröblich missachtet haben. Wir als Deutsche werden uns dafür darum bemühen, dass der Antisemitismus dahin kommt, wohin er gehört: In die Mottenkiste der Geschichte. Der Anti-Antisemitismus muss allerdings auch ein menschliches Antlitz bewahren. Er darf nicht selbstgerecht werden. Sonst verliert er seinen moralischen Anspruch und der Schuss geht nach hinten los..
Dr. Rolf Hengel